From Dusk Till Dawn Hineingeboren in eine mausarme, zerrüttete Famile im Berner Oberland. Der leibliche Vater ein gewalttätiger Alkoholiker (dass er auf mich schoss hatte ich ja schon geschrieben), ebenso der spätere Stiefvater. Ein Nachzügler, kein Wunschkind. Mit meinen noch lebenden Brüden habe ich seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr und ich werde ihnen nie verzeihen, dass sie sich nicht um meine Mutter kümmerten als sie krank war und auch nicht an ihrem Begräbnis teilnahmen. Die Schulzeit und meine Jugend verbrachte ich in Bern, im heute hippen Breitenrain und später in der auch hippen Länggasse. Ich war zuhause angepasst, in der Schule ein Querschläger, wahrscheinlich als Konpensation für das Mobbing, das ich erfuhr. Da war einerseits mein Sprachfehler, ich kann das “R” noch heute nicht rollen. Und da war andererseits die Lehrerin, die jedem Kind zum Geburtstag ein Schoggistängeli schenkte, nur mir nicht. Ich erhielt eine ganze Tafel, weil wir am gleichen Tag Geburtstag hatten. Es war daher nicht verwunderlich, dass ich – nach dem sie tödlich verunglückte – für vierzehn Tage die Schule schwänzte. Diverse “Betragen nicht immer befriedigend” und wahrcheinlich Rekordhalter bei der Anzahl Arresttage, die ich auf dem Pausenplatz wischend verbrachte. Trotz allem mochten mich meine Lehrerinnen und Lehrer. Wie mir später einer sagte, weil ich für sie eine Herausforderung war. Meine Aktionen seien nicht einfach plumpe Bösartigkeiten gewesen, sondern zeugten von einer gewissen Schlauheit. Aber der Titel dieses Beitrags bezieht sich auf meine wilden Jugendjahre und das ist ja auch, was Euch hierhin führte. Mit meiner Kindheit hatte ich alle Voraussetzungen, um auf der Strasse zu landen oder kriminell zu werden. Glück und liebe Freunde vehinderten das. Da ist wichtig zu wissen, dass meine engsten Freunde immer um Jahre älter waren als ich. Als ich 14 war, war mein bester Freund 20 jährig. Sein Tod durch eine Überdosis LSD bewahrte mich davor, jemals Drogen zu konsumieren. Auch während meiner Zeit am Gymnasium Kirchenfeld fand ich Anschluss an eine Gruppe, die alle viel älter waren als ich. Obschon ich in den späten 60ern und frühen 70ers 68er Jahren erst 12 war, erlebte ich die Zeit daher sehr intensiv mit. Aber, wie ihr sehen werdet, nicht gewalttätig, sondern gutmütig und friedlich. Die Gruppe, zu der ich während meiner Jugend gehörte, war eine Mischung aus friedfertiger Flower-Power, der Hippiebewegung und der Bewegung der 68er-Jahre, der eher radikalen, rebellischen und gewaltbereiten Bewegung. Die Ideen waren ähnlich, nur die Mittel, wie man seine Ziele zu erreichen gedenkt, unterschieden sich. Wir hatten unterschiedliche Ansichten bezüglich Politik, aber auch Gemeinsamkeiten, Musik, Feste, Liebe. Und das hielt uns zusammen, trotz aller Differenzen. Musik Musik war DAS Bindeglied unserer Gemeinschaft. Hörte ich als Kind noch Beatles und andere Bands, änderte sich das Ende der 60er Jahre. Das waren die Jahre, wo sogenannter Progressiver Rock aufkam. Rock, der Elemente anderer Musikrichtungen aufnahm, Klassik, aber auch von anderen Kontinenten. Es war die Zeit von Pink Floyd, Yes, Jethro Tull, Genesis, King Cromson oder Emerson, Lake & Palmer. Wir hörten Progrock auf und ab. Aber nicht nur die genannten berühmten Bands, nein, wir hörten auch unbekannte Gruppen. Omega aus Ungarn, PFM aus Italien, Jane oder Amon Düül aus Deutschland. Zu der Zeit waren Vynilplatten solcher unbekannter Gruppen in der Schweiz kaum erhältlich. Jeder in der Gruppe, der auch nur einen Schritt ins Ausland machte, durchstöberte die jeweiligen Plattenläden und brachte seine Errungenschaften mit. Wenn dann so eine Vynilscheibe um ersten Mal auf dem Plattenteller lag, lauschten wir andächtig, fast wie die Snobs in den Jazzkellern dieser Welt. Jazzfreunde mögen mir diesen kleinen Seitenhieb verzeihen. Ich höre auch Jazz, jedoch war ich in meinem Leben geschäftlich in ein paar gehobenen Jazzklubs und fand die Atmosphäre alles andere als erbauend. Aus der linken politischen Ecke kamen immer wieder Vorwürfe an die Adresse dieser Progrock-Bands über fehlendes politisches Engagement. Mitnichten. Was diese Bands an gesellschaftspolitischen Strömungen unterstützten, kann nicht verneint werden. Feste Bern wurde meist als langweilig empfunden, weil es kaum nennenswerte Klubs gab. Aber langweilig? Wer das sagt, weiss nicht, dass die meisten Parties privat veranstaltet wurden. Sturmfreie Bude? Party! Und wenn nichts frei war, versammelte man sich im Eichholz und feierte dort. Später mieteten einer meiner Freunde und ich eine Wohnung in einem Haus in Ostermundigen. Gemeinschafts-WC draussen, abbruchreif, aber sehr billig und geeignet, auch die wildeste Party zu überleben. Viel kaputt gehen konnte ja nicht mehr. Drin stand nichts, ausser einer megateuren Stereoanlage. Auch dieser Freund war aus wohlhabendem Haus, aber einer der ärgsten Kommunisten, was seine Gesinnung anging. Aber ansosnten friedlich. Nur einmal trug er ein blaues Auge davon, nach einem Recontre anlässlich einer Demo. Da war auch diese Party, ein ganzes Wochenende, die ich nie vergessen werde. Der Sohn eines recht wohlhabenden Bernburgers veranstaltete die in der Villa der Eltern, gleich beim Güterbahnhof. Über 300 Leute kamen. Wir bereiteten kübelweise Sangria vor. Den Cognac kauften wir (ob das alle taten entzieht sich meiner Kenntnis), den Wein stellte der Sohn freundlicherweise zur Verfügung. Wir wunderten und am nächsten Tag noch, dass niemand über Kopfschmerzen klagte. Damals wussten werde ich noch andere, was ein Château Mouton Rothschild ist. Nach der Standpauke seines Vaters wusste es aber zumindest der Sohn. Was aber für meine Entwcklung am wichtigsten war: Es gab nie Streit, der über verbale Äusserungen hinausging. Immer war ein Schlichter zur Stelle und die stärkste Massnahme war ein temporärer Platzverweis. Ohne Spielsperre, der Betreffende durfte nächstes Mal wieder dabei sein. Liebe Hippie, 68er und Liebe ist so eine Sache. Ein Mythos? Sicher gab es diese Hippie-Städte, in denen man den Partner oder die Partnerin nach Lust und Laune wechselte oder manchmal gar nicht wechselte, sondern gleich beide behielt. In der Schweiz ging das meist dich “gesitteter” zu. Obschon ich einen gewissen Einfluss durch die “Vorbilder” nicht abstreiten kann. Auch bei uns, auch bei mir, gab es Situationen dass Mann oder Frau eine Party mit einem “Gschpänli” besuchte und diese mit einem anderen wieder verliess. Die lustigste Episode war mit einem befreundeten Paar, er eine prominente Persönlichkeit in der Schweizer Rockszene. Wir besuchten eine Party, beide mit einer Freundin. Die Party verliessen wir in einer anderen Zusammensetzung. Er mit meiner Freundin, ich mit seiner. Die Initiative ging von den beiden Frauen aus, nicht, dass jetzt schon jemand etwas von Macho-Gehabe schreit. Es gab eine Zeit, da datete ich Frauen aus allerbestem Hause. Schlossbesitzer, Spitzendiplomat, um nur zwei zu nennen. Ich durfte die Welt des Geldadels riechen. Eine zeitlang fand ich das toll, Wochenenden an den schönsten Orten der Schweiz und dort jeweils in den luxuriösesten Villen zu verbringen. Aber zwei Erlebnisse erinnerten mich daran wo ich herkam und zeigten mir, dass das nicht meine Welt ist. Da war mal die eine Mutter, die nach meiner Herkunft fragte und ob der Antwort natürlich schockiert war. Nun ja, zumindest würde ich wenigstens is Gymnaium gehen, noch ist nicht alles verloren. Da war auch ein Kellner, der mich mit Namen der Familie ansprach. Wollte ich Jürg Wyss sein oder ein Anhängsel einer bekannten steinreichen Familie? WIe flatterhaft junge Leute dannzumal mit Beziehungen waren, in meiner Umgebung (heute Bubble) war der Umgang beiseitig respektvoll, nur ein Ja hiess Ja und von MeToo war nie die Rede. Musste nicht. Es gab schlichtweg keinen Anlass. Politik Wie ihr sicher bemerkt habt, war ich in meiner Jugend klar links. Ich trat sogar mit dem Mao-Büchlein in der Brusttasche in die Rekrutenschule ein. Ich liebäugelte mit den Sozialisten, den Kommunisten sowie der Leuten in unserer Gruppe, die man heute zum anarchistischen schwarzen Block zählen würde. Der Gaskessel in Bern, wo ich üblicherweise an partyfreien Abenden verkehrte, war auch nicht gerade die Heimat der Erzkonservativen. Zu meiner Zeit trieb der FDP-Politiker Ernst Cincera sein Unwesen, der eine Kartei über Linke anlegte. Ein privater Vorläufer des Fichenskandals von 1989. Dass Cincera auch eine Fiche über mich hatte, ist gut möglich. Seine bezahlten Spitzel waren auch am Gymnasium tätig, das ich besuchte. Es gab drei Schlüsselerlebnisse, warum ich heute eine sehr differenzierte Haltung einnehme und mir jegliche Form von Extremismus zutiefst zuwieder ist und ich ein Gegner der Identitätspolitik bin, wie sie die Linke heute betreibt. Da war zunächst mein “Götti” in der Clique. Ich erzählte vorhin, dass Streit nie über eine verbale Auseinandersetzung hinaus ging. Das war mehrheitlich ihm zu verdanken. Bei ihm lernte ich, dass Konfrontation nur eine noch heftigere Gegenreaktion auslöst. Bei ihm lernte ich deeskalierendes Verhalten quasi in der Praxis. Er war es auch, der seine schützende Hand über mich hielt und mich vor etlichen Dummheiten bewahrte. Dann war da meine Studienzeit. Ich studierte ein paar Semester Geschichte an der Uni Bern bei Hans-Ulrich Jost, der bei den Forschungen über die Rolle der Schweiz im zweiten Weltkrieg eine führende Rolle einnahm. Mit etlichen seiner Meinungen hatte ich Mühe. Sie waren mir zu absolut, zu ideologisch. Er war nicht der Hauptgrund, aber ein nicht ganz unwichtiger, wieso ich mein Studium aufgab und in die Informatik wechselte. Schliesslich kam die “Offensive 77” der RAF. Etliche Anschläge dieser linksextremen Organisation, um inhaftierte Mitglieder freizupressen. Ich war 21, am Ende meiner Jugend und nun definitiv der Meinung, dass Gewalt nicht der richtige Weg ist. Fast hätte ich den Sport vergessen Da war auch noch etwas Sport. Volleyball. 4 Mal Training pro Woche und ein bis zwei Meisterschaftsspiele. Das galt damals als Spitzensport. Ich wurde in eine neu gebildete Nationalmannschaft aufgeboten. Wir trainierten hart, meist in Magglingen, auch mit Unterstützung eines ehemaligen ostdeutschen Nationaltrainers. Zu einem Länderspiel kam es jedoch nie. Eine Europameisterschaft gab es damals nicht, als inoffizielle EM galt der sogenannte Spring-Cup. Der nächste sollte in Griechenland stattfinden und darauf trainierten wir. Nur hatte Volleyball in der Schweiz ein stiefmütterliches Dasein. Obschon es weltweit mehr lizenzierte Volleyball- als Fussballspieler gab. Die Kosten für Reise und Aufenthalt hätten wir selbst übernehmen müssen, was sich nur wenige leisten konnten. So wurde die Sache wieder abgeblasen. Es gab dann noch einen zweiten Anlauf, ich wurde wieder aufgeboten, aber mit der Bedingung, dass ich zu einem Nationalliga A Klub wechseln müsse (mein Klub in Bern war nur B-klassig). Der nächstgelegene war in Biel. Der ganze zeitliche und finanzielle Aufwand war mir als Werkstudent dann doch zu hoch und so verzichtete ich nach einigen Trainings mit der Nati auf meinen Platz. Warum ich das alles schreibe? Weil ich dafür plädieren möchte, wieder gelassener zu werden. Wir lebten – wie ich versuchte zu beschreiben – in einer sehr diversifizierten “Bubble”, mit etlichem Konfliktpotential und trotzdem kamen wir zusammen aus. Dank schlichtenden Stimmen und dank Gemeinsamkeiten, auf die wir uns immer wieder stützen konnten. Heute aber sorgen Empörungsjournalismus und soziale Medien dafür, dass links wie rechts die Grenzen oftmals ignorieren, die ein friedliches Zusammenleben erfordern würde. Besonders in Moralfragen. Gerade Moral ist aber nichts allgemeines, sondern sehr individuelles. Erst recht, wenn wir die Frage global ansehen. Andere Kulturen, andere Moralvorstellungen. Das Foto zeigt eine meiner Zementscheiben mit dem Titel “From Dusk Till Down”, die die Schweinerei andeutet, die sich am Morgen nach einer sturmfreien Bude jeweils vorfand. In meinen Berufsjahren war ich sehr oft in Hong Kong, dort trug ene Musikbar diesen Namen. Vor wenigen Jahren, als mein Sohn in Hong Kong arbeitete, besuchte ich ihn und musste schmunzeln, dass die Bar auch zu seinen Lieblingen gehörte. Der Apfel und der Stamm… Post navigation Expect The Unexpected4 Seasons 3 Comments beeindruckender Werdegang deiner Persönlichkeit ! Reply Ich habe zumindest viel gelernt. Reply […] Ich konnte den “R” nie aussprechen. Bereits in der ersten Klasse musste ich deswegen zur Sprachheilpädagogin. Genutzt hat es nicht, ich kann den Buchstaben heute noch nicht richtig aussprechen. Aber als Kind wurde ich deswegen gehänselt. Ich schrieb im Beitrag “Expect Te Unexpected“, dass ich ein Rhesuskind war, das nur durch eine Bluttransfusion gerettet werden konnte. Als ich etwa 7 Jahre alt war, wurde meine Mutter von den Zeugen Jehovas bearbeitet (zum Glück ist sie da nie beigetreten). Natürlich wurde sie mit Komplimenten über mich überschwemmt, bis die Damen der Sekte erfuhren, dass ich eine Bluttransfusion hatte. Von da an war ich des Teufels. Das war einerseits ein weiterer Kinnhaken an mein Selbstbewusstsein, aber gleichzeitig der Start meiner Veränderung. Ich war richtig stolz darauf, das zweite Kind in der Schweiz gewesen zu sein, das die Bluttransfusion überlebte. Und diesen Stolz wollte ich mir von ein paar Sektenmitgliedern nicht nehmen lassen. Ich wurde aufmüpfig. Das äusserste sich im Schule schwänzen, in der Beurteilung “Betragen nicht immer befriedigend” oder dem Umstand, bei einer eher linken Clique mitzumachen, die mit den Jugendkrawallen der späten 60er Jahre sympathisierte. Meine Jugendzeit beschrieb ich im Beitrag “From Dusk Till Dawn“. […] Reply Leave a Reply Cancel replyYour email address will not be published. Required fields are marked *Comment * Name * Email * Website Save my name, email, and website in this browser for the next time I comment. Δ
[…] Ich konnte den “R” nie aussprechen. Bereits in der ersten Klasse musste ich deswegen zur Sprachheilpädagogin. Genutzt hat es nicht, ich kann den Buchstaben heute noch nicht richtig aussprechen. Aber als Kind wurde ich deswegen gehänselt. Ich schrieb im Beitrag “Expect Te Unexpected“, dass ich ein Rhesuskind war, das nur durch eine Bluttransfusion gerettet werden konnte. Als ich etwa 7 Jahre alt war, wurde meine Mutter von den Zeugen Jehovas bearbeitet (zum Glück ist sie da nie beigetreten). Natürlich wurde sie mit Komplimenten über mich überschwemmt, bis die Damen der Sekte erfuhren, dass ich eine Bluttransfusion hatte. Von da an war ich des Teufels. Das war einerseits ein weiterer Kinnhaken an mein Selbstbewusstsein, aber gleichzeitig der Start meiner Veränderung. Ich war richtig stolz darauf, das zweite Kind in der Schweiz gewesen zu sein, das die Bluttransfusion überlebte. Und diesen Stolz wollte ich mir von ein paar Sektenmitgliedern nicht nehmen lassen. Ich wurde aufmüpfig. Das äusserste sich im Schule schwänzen, in der Beurteilung “Betragen nicht immer befriedigend” oder dem Umstand, bei einer eher linken Clique mitzumachen, die mit den Jugendkrawallen der späten 60er Jahre sympathisierte. Meine Jugendzeit beschrieb ich im Beitrag “From Dusk Till Dawn“. […] Reply