Expect The Unexpected

Wieviele Leben hat eine Katze? Ich bin jedenfall in meinem achten. Das wäre eigentlich schon genug Unerwartetes für ein durchschnittliches Leben. Drei Scheidungen, eine lange Krankheit meiner Mutter sowie meine eigene Gesundheit, die schlussendlich zu meiner Frühpensionierung führte, sind weitere Momente, die einem plötzlich und eben unerwartet treffen können. Doch alles der Reihe nach.

Es begann schon bei der Geburt. Ich war ein Rhesuskind. Das ist heute kein Problem mehr, dafür gibt es Medikamente. In der Zeit, als ich geboren wurde jedoch, starben daran viele Babys. Beispielsweise zwei meiner Brüder. Die einzige Hoffnung war eine Bluttransfusion schnell genug ausführen zu können, dass die Antikörper keine Zeit hatten, Schaden anzurichten und völlig aus dem Körper gespült wurde. Ich war das zweite Kind in der Schweiz, bei dem das gelungen ist. Das erste war ein Mädchen aus Muttenz. Noch heute zieren Narben der Schläuche and Hand- und Fussgelenken von dieser Prozedur. Medinisches Personal, die das manchmal sehen, aber die Geschichte der Rhesuskinder nicht mehr kennen, fragen mich dann jeweils, ob das von einem Selbstmordversuch stamme. “Im Gegenteil, das stammt von meiner Rettung”.

Schon im ersten Lebensjahr ging es weiter. Mein Vater, Alkoholiker, habe scheinbar auf mich geschossen, aber verfehlt. Mit etwa 3 Jahren fiel ich bei Unterseen (Interlaken) in den Lombach und geriet unter eine Wasserwalze. Erst im letzten Moment hätte man mich gefunden und rausfischen können. Dnn war mal für einige Zeit Ruhe. Bis ich Militärdienst leistete.

Beim Abverdienen des Leutnants, während des einwöchigen Gefechtsschiessens, übten wir den Einsatz von Handgranaten. Es war Vorschrift, so eine Übung “trocken” durchzuspielen, erst wenn alles problemlos klappte, durfte die Übung mit einer scharfen Handgranate ausgeführt werden. Dabei musste der Zugführer immer in unmittelbarer Nähe des Werfers sein, falls dieser Panik bekommt und die Granate nicht wegwarf, was oft genug vorkam. Link, rechts, obendrüber, wurde währenddessen mit scharfer Munition geschossen, um den “Feind” niederzuhalten. Ein Knall, ein Luftzug an meiner Backe, die Kugel flog haarscharf an mir vorbei.

Ende August/Anfangs September 1998 war ich auf Besuch meines Kunden in den USA. Ich war in Philadelphia, als mich der Kunde anrief und mitteilte, unser geplantes, letztes Meeting würde ausfallen. Ich bat meinen Verkäufer in den USA, mich zurück nach New York zu fahren, ich möchte versuchen, noch am gleichen Tag in die Schweiz zurückzufliegen. Gesagt getan. Geschwindigkeitskontrolle, Polizeikontrolle, Busse, Kaffee, eingeschlossene Autoschlüssel, ein Tornado, sie alle waren beteiligt, dass wir New York nicht rechtzeitig erreichten und ich eine weitere Nacht dort bleiben musste. Sonst wäre ich in den Flug Swissair 111 gestiegen, der in der Nacht in der Nähe von Halifax abstürtzte. 3 Jahre später, 2001, wieder im September war der Anschlag auf das World Trade Center in New York. Mein Arbeitgeber veranstaltete jährlich ein Meeting mit den wichtigsten Kunden weltweit, an dem mein Kunde und ich jeweils teilnahmen. Da ich gekündigt hatte, war ich nicht mehr dabei, sonst wäre ich am 9. September 2001 im WTC gewesen. Ein paar sehr gute Freunde kamen dort um.

Am 4. August 2013, ein Sonntag, begann mein bisher achtes Leben. Kammerflimmern wurde später diagnostiziert. Überlebenschance nach 13 Minuten, als die Ambulanz kam, geringer als 1%. Und wer das überlebt, trägt meist einen Hirnschaden davon. Meine Söhne erzählten mir später, dass sie mit dem Arzt witzelten, irgendwie mussten sie den Schock überwinden. Dabei hätte der Arzt mitgemacht und sie gewarnt, dass er nicht wisse, ob ich als Stück Lauch aus dem Koma erwachen werde. Falls ich denn überhaupt erwachen würde. Wie gesagt, was sehr sarkastisch tönt, half ihnen, das Ganze zu verarbeiten.

Meine Mutter litt an zunehmender Demenz. Jahrelang konnte sie niemand überreden, in ein Heim zu ziehen. Eine Betreuung zu Hause war das einzige, das sie gerade noch tolerierte. Das bezahlt eine Krankenkasse höchstens teilweise. Die Alternative wäre gewesen, sie zwangsweise in ein Heim zu bringen, was wohl ihren Tod beschleunigt hätte. Also sorgte ich dafür, dass sie solange wie möglich in ihrer Wohung bleiben konnte, mit einer kombinierten Betreuung aus Spitex und Privaten. Bis es dann schlussendlich soweit war, dass auch noch Nierenprobleme dazu kamen und sie gezwungenermasse in ein Pflegeheim musste. So ein Aufenthalt kostete in Bern 15’000 Franken im Monat. Diese Kosten werden nur teilweise von der Krankenkasse übernommen. Für den Rest kommt man entweder selbst auf oder schaltet das Sozialamt ein. Der Betrag war jedenfalls so hoch, dass ich ihn unmöglich bezahlen konnte. Die Folge war, dass ich alle Rechte verlor und meine Mutter einen “Vormund” bekam.

Dann war ich an der Reihe, Burnout. 2 Jahre arbeitsunfähig. Als ich wieder gesund war, kam wie bereits geschrieben, kurz darauf mein Kammerflimmern dazu. Damit war endgültig Schluss mit meinem gewohnten Berufsleben. Mit 57 Jahren. Weit entfernt vom normalen Pensionierungsalter.

Die Krankheit meiner Mutter, meine eigene Gesundheit, 3 Scheidungen, sie taten das ihre, dass meine finanziellen Verhältnisse einen sorgenlosen Rentenstand garantieren würden. Aber ich fand eine Lösung.

Warum ich das alles schreibe? Weil ich nicht verstehe, wie sorglos die meisten Menschen in ihrem Hamsterrad zappeln und so tun, als wäre ihr Leben nie gefährdet. Sie stimmen bei politischen Abstimmungen so, als würden sie nächstens Milliardäre. Sie bleiben in ihrer Komfortzone und brechen zusammen, wenn irgendwas passiert, das unerwartet kommt. Ich konnte mich vielen Harusforderungen nur stellen und mich den neuen Gegebenheiten anpassen, weil ich häufig aus meiner Komfortzone rausging und mir eine gewisse Resilienz aneignete. In 3 weiteren Beiträgen werde ich über meine wilde Jugend schreiben, mein Beurfsleben und meinen Lebensabend hier in den Philippinen. Bis bald.

Das Foto zeigt eine von mir geschaffene Zementscheibe mit einem Acrylic Pouring. Das Resultat ist schon auf Leinwand nicht voraussagbar, geschweige denn auf einer Zementplatte. Aber für mich ist es die ideale Illustration für “Expect The Unexpected”.

One Comment

  1. […] richtig aussprechen. Aber als Kind wurde ich deswegen gehänselt. Ich schrieb im Beitrag “Expect Te Unexpected“, dass ich ein Rhesuskind war, das nur durch eine Bluttransfusion gerettet werden konnte. Als […]

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