Reise zur Langeweile

Der Carabao. Der stoische Berner, der auf meiner Schulter sitzt und nur hin und wieder mit dem Horn zuckt. Er hört zu, weil er nicht anders kann. Er ist mein Beifahrer in dieser Achterbahn, die man Existenz nennt.

Alle sagen, mein Leben sei langweilig. Haben sie recht?

Diese Frage, Carabao, diese Frage drehte in meinem Kopf wie eine lästige Stubenfliege auf Steroiden, als mir die Leute immer wieder erzählten, mein Leben sei ja total langweilig. Immer diese Bilder von Sonnenaufgängen, kein Hype, keine laute Story, keine Skandale. Nur dieses leise, eigene Ding. Und dann habe ich mich gefragt, ob das überhaupt stimmt, ob es meins ist. Deshalb bin ich los. Ich wollte die Langeweile loswerden.

Das Dating-Abo und die Absurdität der Kontrolle

Meine erste Station, China. Ich bin hingefahren, weil ich diese Geschichte von der Frau Zhangzhang nicht glauben wollte. Die kauft ihren Mann. Ein Cosplayer spielt den perfekten Typen, den die reale Welt nicht liefern kann.

Ich hab’s gesehen, Carabao. Und das ist so absurd, dass es dich fast traurig macht.

Die hat ihr echtes, kompliziertes Leben an der Garderobe abgegeben, nur um die Garantie für fehlerfreie Rezeption zu bekommen. Sie bezahlt dafür, dass ihr jemand zuhört, der keine eigenen, lästigen Bedürfnisse hat. Das ist doch der Gipfel der Absurdität, oder?

Ich flüsterte ihm ins Horn: Sie kauft sich die Illusion von Kontrolle über die Liebe, indem sie das Eigentum an ihrer Zukunft verkauft. Ihr Leben gehört nicht ihr, es gehört der Simulation und dem Markt, der diesen Service anbietet. Sie hat ihr Leben nicht aus Langeweile, sondern aus Überforderung aufgegeben.

Die erzwungene Herzlichkeit

Dann kam ich kurz zurück zu dir, Carabao. In diese Lautstärke. In diese unumgängliche Hitze. Dieser Schmelztiegel komplizierter kultureller Wertvorstellungen, in dem sich nur zurechtfindet, wer hier geboren wurde. Hier ist alles familiär. Und genau deshalb genauso bescheuert, wenn man es aus der Brille der Freiheit betrachtet.

Du bist nie allein, Carabao. Hier hat die Lola ein Wörtchen mitzureden, der Tito hat eine Meinung zu deinem Job, und die ganze Nachbarschaft hat ein Anrecht auf deine Zeit. Man hört sich das alles an, während irgendwo das Videoke dröhnt und jemand “It’s my life!” singt. Das ist die zwangsfröhliche Zusammengehörigkeit. Die Herzlichkeit ist der Preis für die Verankerung. 

Ich hab ihm auf die Schulter geklopft: Hier gehört dir dein Leben auch nicht, Carabao. Es gehört der Gemeinschaft, dem Pakikisama und der Verpflichtung. Ich kann mich nicht einfach still entscheiden, heute mal nichts zu tun. Du bist in diese Existenz hineingeboren worden, und du musst liefern. Das Leben ist hier kein Gut, das man besitzt, es ist eine kollektive Bürde. Das ist anstrengend, aber wenigstens echt. Es ist fremdbestimmt, aber nicht simuliert.

Die Kernschmelze des Luxus

Und dann die Rückkehr, Carabao. In die Schweiz. Und da erst habe ich die wahre Dystopie gespürt.

Die Schweiz hat ihr Leben nicht an eine Cosplay-Firma oder an die Lola verkauft. Sie hat es dem Kapital verkauft. Sie identifiziert sich nur noch über materiellen Luxus. Das Auto, das Haus, die Uhr, die Ferien. Das ist die Reputation der Geldbörse.

Das ist die perfekte Form der Eigentumsaufgabe. Der Mensch hat sein echtes, unordentliches Leben geopfert, um die Hülle eines perfekten, teuren Lebens aufrechtzuerhalten. Die Identität ist das Geld, nicht der Mensch.

Ich flüstere dem Carabao ins Ohr, fast schon wütend: Der wahre Luxus, mein Freund, ist doch, dass mein Leben mir gehört. Weder einem Hype, weder einer überdrehten Kultur, noch einer Firma und schon gar nicht dem materiellen Vergleich mit dem Nachbarn.

Der wahre Luxus

Da sass er nun, der Carabao, und hat den Kopf ganz langsam und stoisch gehoben. Und er hat den Satz wiederholt: “Alle sagen, dein Leben sei langweilig. Sie mögen recht haben. Aber wenigstens ist es dein eigenes.” 

Er fuhr fort: “Wenn du es verkaufst, es dir von der Familie genommen wird oder du es für den Luxus opferst – gehört es dir dann wirklich noch? Ich glaube, der wahre Luxus ist, die Unordnung der eigenen Existenz zu akzeptieren. Und das, das ist das Teuerste, was du heute noch haben kannst.”

“Was meinst du, alter Freund?”

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