Ricola und die Chlorhühner 

Wer hat die Korruption erfunden? 

Die Philippinen, die gerade von einem riesigen Skandal geschüttelt werden? Die Amerikaner, die Korruption marinieren? Die Italiener mit ihrer Mafia? Die Schweizer? Nein, die würden laut behaupten “Wir nicht, keinesfalls!”. Die Schweiz würde darauf hinweisen, dass sie im Korruptionsindex weit oben steht, aber ignorierend, dass sie jedes Jahr etwas mehr absteigt.


Hört doch auf mit diesem Blödsinn. Alle tun so, als sei diese Intransparenz , diese Günstlingswirtschaft, dieses Abbiegen vom sauberen Weg etwas völlig neues. Allen voran die Schweiz. Wir feiern unsere Winkelriede, die sich mit Uhr und Goldbarren mutig ins Oval Office stürmten, um die Schweiz zu retten. Wir tun so, als wären wir ein unschuldiges Opfer, von den bösen Amis (oder sind sie doch lieb, weiss man da genaues?) und Trampelchen gezwungen. Das ist nichts anderes als eine Kriegserklärung an unser aller analytischen Intelligenz.  


Das wahre Problem ist nicht die Existenz von Korruption, die gab es schon immer. Das wahre Problem sind die theatralische Erklärungen, die immer um sich greifen, das echte Problem ist, wie wir mit Korruption umgehen. Das wahre Problem sind die Empörungskonserven, die jedes Land für sich erfunden hat, um die Korruption zu vertuschen oder gar zu verstecken.

Die USA, die wir heute so eifrig kritisieren, haben in ihrer Geschichte immer schon bewiesen, dass Korruption ein nützliches Werkzeug ist, wenn es der Geopolitik dient. Es geht nicht darum, sie zu beseitigen, sondern sie strategisch zu verfestigen, zu marinieren:

​Man denke an Italien nach 1943: Im Kampf gegen den Kommunismus wurden Mafiosi-Clans bewusst in Verwaltungspositionen eingesetzt. Die organisierte Kriminalität wurde so im staatlichen Apparat zementiert.

​Man denke an die Philippinen: Dort stützte man über Jahrzehnte hinweg die Polit-Dynastien von Marcos als anti-kommunistische Bastion. Die militärische und finanzielle Hilfe flossen in ein Regime, das eine beispiellose Kleptokratie etablierte. Washington tolerierte diese Clan-Wirtschaft jahrelang, weil die strategische Notwendigkeit der US-Militärbasen im Kalten Krieg Vorrang hatte.

​Ähnliche, analytisch analoge Mechanismen finden sich in der Stützung korrupter Warlords in Afghanistan oder des autoritären Schahs im Iran.
Die Schweiz – zumindest Teile davon – empören sich gerade am Deal mit Trampelchen. Dabei betreibt die Schweiz seit Jahrzehnten eine Politik des Vorteils, nicht der Moral. Die Seilschaften zwischen Politik und Exportwirtschaft. Der Einfluss der Pharmaindustrie auf die Krankenkassen. Der sanfte Filz, der damals zum Grounding der Swissair führte. Die Drehtür-Sozialisten in den stastsnahen Betrieben, die ihre Pfründe verwalten als wären sie ihr Augapfel. Die ehemalige CVP, heute Die Mitte, die sich mit der SP um die lukrativsten Ämtli in staaatsnahen Betrieben zofft und nicht minder vorne steht, wenn es um Bereicherung geht, etwa in den Postautobetrieben. Und schlussendlich diese Schmieröl-Mentalität der Lobbyisten. Die Typen mit ihren Massanzügen und Gel-frisierten Frisuren.

Nein, das ist kein Resultat Trumpscher Politik, das ist schweizerisches Kulturgut und steht unter Denkmalschutz. Das ist das Betriebssystem der eidgenössischen Elite. Unsere Korruption ist nicht neu, sie ist nur diskret verpackt wie ein Paket vom Erotikhandel. Korruption ist in der Schweiz quasi AOP-zertifiziert. Die Schweiz als fortgeschrittene Anwenderin könnte Kurse geben, wie man Korruption verschleiert und trotzdem im Ranking weit oben steht.

​Die Schweiz bemüht stets die Notwendigkeit. Auch jetzt wieder. Um Partikularinteressen durchzusetzen, greift unsere heimische Elite gerne zu ihrer Notfall-Lüge. Die Drohung aus Übersee dient als die Universal-Ausrede der Stunde, um das zu tun, was man ohnehin schon immer tun wollte. Chlorhühner, tiefere Sicherheitsstandards, die Moral den Partikularinteressen der Wirtschaft opfern. ​Washington hält uns nicht die Pistole an die Schläfe, es überreicht uns einen Persilschein. Wir müssen nur zugreifen.

Die Drohung aus Übersee liefert das moralische Alibi für unsere Eliten, die Korruptionsstrukturen im Inland nicht nur beizubehalten, sondern unter dem Deckmantel der nationalen Rettung nun auch noch offiziell zu zementieren, ja, gar auszubauen

​Wir sind nicht das unschuldige Opfer, das zur Korruption gezwungen wird. Wir sind der willige Profiteur, der die Gelegenheit nutzt, um seine moralische Bilanz nachträglich zu schönen. Moral ist nur noch eine Kostenstelle, die Ende des Jahres der Allgemeinheit in Rechnung gestellt wird.

Der wahre Skandal liegt nicht darin, dass Amerika uns erpresst, sondern darin, dass wir die Erpressung als willkommene Rechtfertigung für die Verfestigung unserer eigenen, längst etablierten Intransparenz nutzen. Und das ist das eigentliche, widerwärtige Meisterstück dieser ganzen Veranstaltung.

​Da sitzt der Carabao am Rande des Geschehens, kaut und fragt: Hat die Schweiz je etwas anderes getan, als das moralisch Falsche zu tun, wenn es rentabel war? 

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