HD Soldat Läppli – Alfred Rasser

​Nichts verrottet schneller als unsere Geduld.

​Auch hier stapeln sich Plastikberge vor den Hütten.

​”Was zur Hölle ist das?! Wie kann man so leben?!” – Meine Gedanken dröhnen wie ein Zürcher Laubbläser beim letzten Aufbäumen.

​”Oder… vielleicht tun sie nur, was sie müssen?” – Mein innerlicher Carabao schnaubt leise neben mir.

​”Was sie müssen? Das ist doch Blödsinn! Das ist doch Faulheit!”

​”Nein, nicht Faulheit. Effizienz. Priorisierung. Das Kind muss satt werden. Überleben ist wichtiger.”

​”Aber sie könnten doch wenigstens…”

​”Ich sehe, dass sie Kraft sparen für das, was wirklich zählt. Heute brennt ein anderes Problem – Sauberkeit ist für sie gerade jetzt kein Überlebensproblem, sondern Luxus.”

​”Also doch bequem?”

​”Nein. Priorität liegt auf dem Überleben, nicht auf Sauberkeit. U das isch nid Fuulheit, das isch entwäder oder. Me cha halt nid ds Füfi u ds Weggli ha.”

​Mir kam HD Läppli in den Sinn, dessen Geduld länger hält als Plastik. Er hatte sogar für seinen schreienden Leutnant Verständnis. Vielleicht sollten wir für andere Lebensweisen und Prioritäten auch genau dieses Verständnis aufbringen.

​Die Empörung schwingt ein letztes Mal kurz, leiser, abnehmend, und legt sich mit dieser Erkenntnis:

​Bequemlichkeit ist nur die Flucht vor der Faulheit – sie ist nie nichts tun.

​Und damit dämmerte mir etwas Grundsätzliches über unsere Begriffe:

​Wenn man Menschen in Ruhe lässt, wenn man sie nicht zwingt, was tun sie dann?

​Unter diesem neuen Aspekt blicke ich anders auf das Dorf. Wenn Bequemlichkeit die Flucht vor der Faulheit ist, dann sind die Filipinos hochgradig clevere Strategen. Dass sie nicht faul sind, zeigt sich hier deutlich.

Der Geist des Malasakit (der inneren Sorge und Priorisierung) ist der Name dieses Geistes. Er manifestierte sich früher, indem das ganze Dorf die komplette Nipa-Hütte auf Bambusstangen an ihren neuen Platz trug. Dieses Bayanihan – das gemeinschaftliche Tragen der Last – war ein Akt, der in unserer Logik (Kran, Architekt, drei Bewilligungen) schlicht unmöglich ist.

​Und dieser Geist ist noch lebendig: Mitten in der Pandemie stellten die Menschen Tische auf die Strasse, um die “Community Pantries” zu starten – nach dem Motto “Nimm, was du brauchst, gib, was du kannst.” Eine spontane, unbürokratische Sozialhilfe, die zeigte: Wir warten nicht auf den Staat.

​Man könnte fast meinen, die Filipinos hätten das BGE schon eingeführt, nur ohne Lohn. Wo der Staat systematisch versagt, müssen die Einwohner es von alleine tun.

​Man könnte sagen: Die Malasakit ist die philippinische Bequemlichkeit – die aktive, gemeinschaftliche Flucht vor der staatlichen Faulheit.

​Das ist der Kern des philippinischen Gemeinschaftsgeistes, der im Bayanihan sichtbar wird.

​Vielleicht entscheidet sich die Zukunft sozialer Modelle weniger an Gesetzen als an einem einfachen Perspektivwechsel:

​Nicht die Frage, ob Menschen arbeiten wollen – sondern was genau sie arbeiten würden, wenn sie nicht müssten.

​Ich möchte zurück auf den Zauberberg, zum Mt. Bandilaan. Vielleicht war die Frau am Heilerpark ja eine gute Fee. Gäbe sie mir zwei Wünsche frei, es wären:

​Für die politischen Diskussionen in der Schweiz: Dass wir die Perspektive Bequemlichkeit ist nicht Faulheit in die Diskussionen rund um Flüchtlingspolitik, Sozialpolitik oder gar zum BGE einnehmen.​

Für die Schweizer Gesellschaft: Dass wir den Geist der selbstlosen, gemeinschaftlichen Resilienz – dieses Bayanihan – zurückgewinnen, wie das vor 100 Jahren im tiefsten Emmental noch gelebt wurde.

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