Der versöhnliche Carabao

Der junge Mann zeigt mir ein Video mit einer Rede von Trump.
„Schau, der Typ bringt’s voll auf den Punkt!“ sagt er und lacht.

Ich atme tief ein, wollte gerade schulmeisterlich den Mahnfinger erheben.
„Weißt du, Sympathie schützt nicht. Loyalität auch nicht.“

Er schaut mich verduzt an.
„Wie meinst du das?“

„Hier, lies das“, sage ich und streiche über mein Tablet.
„In der Türkei 2016 wurden nach dem Putschversuch Hunderttausende aus dem Staatsdienst entfernt – auch Menschen, die vorher loyal waren.“

Er tippt nervös auf dem Display.
„Alle? Wirklich?“

„Und schau hier“, sage ich, halte ihm mein Gerät wieder hin.
„Russland: Exil-Oppositionelle werden unter Terrorismusverdacht verfolgt, selbst wenn sie vorher nicht opponiert haben.“

Sein Blick weitet sich, er zieht die Luft ein.
„Das hätte ich nicht gedacht…“

„Oder hier“, sage ich, tippe einen Link ein und drehe das Gerät leicht zu ihm.
Ungarn: Orbán sichert seine Macht über Medien und Justiz – selbst ehemalige Unterstützer geraten in Bedrängnis.“

Er verschränkt die Arme, zieht die Stirn kraus, fährt sich durch die Haare und starrt auf den Bildschirm.
„Und siehst du die Parallelen zu Trump?“, frage ich.
„Er hat sich mit vielen verbündet, aber auch gegen ehemalige Verbündete vorgegangen. Loyalität scheint ihm nur so lange wichtig, wie sie ihm nützt.“
„Ein aktuelles Beispiel ist die Anklage gegen seinen ehemaligen Sicherheitsberater John Bolton, der vertrauliche Informationen weitergegeben haben soll. Trump reagierte scharf auf die Anklage und bezeichnete Bolton als ‚schlechten Kerl‘, obwohl er zuvor ein enger Vertrauter war.“

Er nickt nachdenklich, lehnt sich zurück, die Hände im Schoß, und sagt leise:
„Totalitäre Personen sind der Feind aller, nicht nur der Progressiven oder Linken. Selbst von mir. Warum halten wir dann nicht zusammen?“

Ich seufze leise, wenn doch alle, wie dieser junge Mann, zur Versöhnung bereit wären.

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