Ist Outsourcing Neokolonialismus?

Ich arbeitete Jahre für Firmen wie Hewlett-Packard, die stark im sogenannten Business Process Outsourcing (BPO) sind. Ein für BPO bekanntes Land sind die Philippinen. 7% des Bruttosozialprodukts werden in diesem Bereich erwirtschaftet. 1.44 Millionen Menschen sind in diesem Geschäft tätig. 32 Milliarden Dollar werden erwirtschaftet. Bis 2028 sollen es 59 Milliarden Umsatz und 2.5 Millionen Mitarbeiter sein (Quelle: JLL). Wir, die Industrieländer, sind also die Guten und bringen Geld in diese Länder, wir schaffen Arbeitsplätze und bekämpfen so die Armut im Land. Alles gut. Alles gut? Nein!

BPO schafft auch eine ganze Reihe von Problemen. Nebst dem extremen Platzbedarf, der die Landpreise explodieren lässt, sind es vorallem soziale Folgen, die ich hier ansprechen möchte. Die meisten Kunden stammen aus den USA. Also wird vorallem Nachts gearbeitet. Ich treffe immer wieder auf Filipinos, die ihre sozialen Kontakte verloren haben und im schlimmsten Fall Alkoholiker wurden. “Ich wusste gar nicht, dass neuerdings Affen in eurem Call Centerarbeiten” ist noch einer der harmloseren Sprüche, die Kunden machten, wie mir ehemalige Angrstellte in Call Centern erzählten. Ihr merkt, worauf ich hinaus will: Hier entstehen Kosten für die Betreuung psychisch angeschlagener Menschen, die kein Kunde, kein Anbieter von BPO trägt. Oder es entsteht gar nichts, weil die Betroffenen sich selber überlassen sind. Mir wäre nicht bekannt, dass der Staat in diesem Bereich signifikante Hilfsprogramme anbieten würde.

Wird es besser? Kaum. Im Gegenteil. Künstliche Intelligenz wird einen Teil dieser BPO-Mitarbeiter ersetzen. Vorallem diejenigen, die einfachere Aufgaben, beispielsweise anhand von Checklisten wahrnehmen. Was aber stattdessen kommt, verschlimmert die Situation exponentiell. Firmen wie Facebook beschäftigen Heere von Angestellten, die Posts nach illegalen Inhalten durchforsten. Gewaltexzesse, Kinderschändung, alles sehen diese Menschen in Bildern und Videos. Traumatisierte Menschen gibt es bereits heute viele und es dürfte zunehmen. Facebook und andere machen das aber in der Regel nicht selbst, sondern übertragen das an Outsourcing-Firmen, davon gibt es auch welche in den Philippinen.

Ist das nicht Neokolonialismus? Gibt es einen Unterschied zum schwarzen Baumwollpflücker in den USA und dem BPO-Angestellten in den Philippinen? Letzterer kann frei wählen, werden einige sagen. Wie frei kann ich wählen, wenn es die einzige Möglichkeit ist, Geld zu verdienen? Wie kann ich wählen, wenn ich von einem Tag auf den anderen in eine andere Abteilung versetzt werde, wo genau dieses durchforsten von Bildern und Videos zu meinen Aufgaben gehört (ja, solche Fälle gibt es)?

Warum schreibe ich das? Statt Kant zu verbieten, weil er ein Rassist war, würde sich die politische Linke gescheiter auf solche aktuellen Probleme konzentrieren und daran arbeiten, dass wir keinen Neokolonialismus aufbauen. Ich lasse mich gerne eines besseren belehren, aber ich sehe hier nichts von dieser Seite.

Quelle Foto: Wikipedia, Open Source, Deutscher Kolonialherr in Togo (ca. 1885)

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